Winfried Rathke
Die Marquise von O.
(frisch verkleistert)
Früher, als ich nüchtern meist,
las ich schüchtern Heinrich Kleist,
wozu mir ganz explizit
einst der Prinz von Homburg riet,
der einer Marquise O.
beischlief, doch inkognito,
weil sie grad bewußtlos war
und dabei die Lust los war.
Ja, der ganz besondre Gag:
er war da – und sie war weg!
Kaum hob sie die Augenlider
merkte sie, am Edelmieder
waren Teile ganz verschoben
respektive angehoben,
und der Slip darunter fehlte,
weshalb sie die Frage quälte,
welches unbekannte Wesen
ihr den Unterleib verlesen.
Suchend eine Blitzableitung,
ging sie direkt an die Zeitung,
gab dort Such-Annoncen auf,
fragte nach, wer obenauf
bei ihr einst genächtigt hätte
wider alle Etikette.
Gleichzeitig wurd' es ihr übel,
sie verschlang manch rohe Zwiebel,
mischte, was sehr rätselhaft,
Abfuhr-Tee mit Hustensaft,
kaute dauernd Fingernägel
und – bekam nicht mehr die Regel,
so – daß sie ganz offenbar,
ein klein wenig schwanger war.
Die Familie auf der Stelle
kriegte schwerste Wutanfälle,
Vater, der ein geistig seichter
schwang sich am Muranoleuchter,
ging ans Fenster, schoß riskanten
Kugelhagel auf Passanten.
Mutter warf die Kaffee-Kannen
in den Garten zwischen Tannen
und zerhackte wie ein Bär
ihren teuren Sekretär,
der mit Salböl glatt poliert
und lntarsien reich verziert
vorne rechts gleich an der Wand
ihrer Kemmenate stand.
Eltern heulten: "Welche Schande!"
Zorn in ihrem Bauch entbrannte.
Ohnmacht quoll aus jeder Pore,
tobte durch die Korridore,
Trübsinn in dem Hause schwelte,
weil der Kindserzeuger fehlte.
Nach erbostem Lamentieren,
– was wir heute kaum kapieren,
weil die Leute damals prüder –
kam nun die Marquise nieder.
Die Annonce – fast vergessen –
zeigte Wirkung unterdessen,
denn – der Säuglingsproduzent
tauchte auf! Das Happy end
konnte schliesslich nun beginnen.
Ja, – man hörte auf zu spinnen,
sah, was bisher ungebührlich
gottseidank nun ganz natürlich.
Heirat wurde angeleiert,
und gutbürgerlich gefeiert,
doch man hat impertinent
noch – die Boudoirs getrennt.
Um den Lustmolch zu bestrafen
zwang man ihn, auf Couch zu schlafen,
ferner mußte er aus Gründen,
die ins Ungewisse münden,
seinem Schwiegervater eben
Portemonnaie und Scheckbuch geben,
seiner Güter sich entleiben,
sie der Gattin überschreiben,
eine ganze Zeitlang kuschen
und die Wollust gut vertuschen.
Später durfte er – wie nett –
wieder zu Madame ins Bett
und begann mit seiner Norne
wieder Spiele ganz von vorne,
und es wurd' beim Liebesakt
wachen Sinnes zugepackt!
Die Moral ist sonnenklar,
wohldurchdacht und lapidar:
Koitüsse in Absencen
sind befremdliche Usancen.
Damen, die in Ohnmacht sinken,
greift Mann nicht an ihre Schinken,
sondern wartet ganz gemach,
bis sie langsam wieder wach.
Ja – Konstrukte wie bei Kleist,
abenteuerlich und dreist,
liest man heut' nicht alle Tage.
Aber – je nach Wetterlage –
da nun mal die Presse frei,
und voll Sinn für Narretei
sorgt solch Irrwitz für Gerinnung
im Wochenblatt der Metzger-Innung.
Rathke, Winfried: Literatortur pur. Klassiker grob ausgeschlachtet und fahrlässig gestutzt. Mit Illustrationen von Kevin Farrell. Egelsbach [u. a.]: Fouqué Literaturverl. 2001. S. 87-91
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
(http://www.winfried-rathke.de)