Robert Oechsler
Das Käthchen von Heilbronn.
Apostrophe an die Stadt.
Mag der Romantik Zinnenkranz zerfallen,
Von ihren Malen bröckeln Stein um Stein,
Stets lauter Dich der Tageslärm durchschallen,
Der Kampf ums Brod, das Zetern der Parteien,
Mag Essenqualm noch dichter Dich umwallen,
Dampfpfeif' und Nebelhorn noch schriller schrein -:
Die Stätte, die ein Dichter auserkoren,
Seht nimmermehr der Poesie verloren!
Seit Dir mit maienfrischem Kranzgewinde
Die Stirne schmückte Dichterphantasie,
Seit ihrer Träume holdem Herzenskinde
Für ew'ge Zeit sie Deinen Namen lieh, -
Noch rauher mögen wehn die Zeitenwinde -:
Du bleibst gefeit, geweiht der Poesie,
Seit in den Garten pflanzte Dir zum Ruhme,
Der Dichter seine wunderzarte Blume!
O Käthchen, dunkeläugig' Zauberwesen,
Due Feenmärchen Du, - von Fleisch und Blut,
Geträumt nicht bloß, o nein leibhaft gewesen,
Du Maienblume, schön und hold und gut;
Du Kind und Jungfrau, Wildfang, Engelwesen,
Scheu wie ein Reh und doch voll Gluth und Muth;
Ein frommes Täubchen und ein Schelm von Mädchen,
Wo sonst im Reich lebt ein Heilbronner Käthchen? -
Durch stille Gassen wandelt Nacht und Schweigen,
Es schwebt der Mond grad' überm Käthchenhaus,
hoch über Markt und Thurm geht Sternenreigen, -
Da neigts zum hohen Erker sich heraus, -
Schon hör' ichs leichten Schrittes niedersteigen,
Das liebe Bild schon taucht es aus dem Haus -:
Der Steinheld auf der Rampe reckt die Glieder,
Wetter vom Strahl die Rathstrepp' sprengt hernieder!
Im "gelben Strohhut" und im sammtnen Mieder,
Seht, wie sie, ringsumstaunt, zur Kirche geht,
So schön, als stieg ein Engel himmelnieder,
Vom Zauber holder Weiblichkeit umweht, -
Sie grüßt! - und wie die Nachbarn fromm und bieder,
Auch meine Seele schließt sie ins Gebet -:
Sie, die geweckt, die Lieblichste der Musen,
Der Dichtung zarten Reim in meinem Busen! -
Vor'm heimlichen Gericht seh ich sie stehen,
Wetter vom Strahl spricht strengen Tons zu ihr -:
"Warum, wohin auch meine Schritte gehen,
Gleich meinem Schatten, Käthchen, folgst Du mir? -
"Ich weiß es nicht!" - wie ihre Augen flehen! -
"Und thronte richtend mein Gewissen hier,
Mein hoher Herr, vor seiner heil'gen Schranke
‚Ich weiß es nicht!‘ spräch' jeglicher Gedanke!" -
Ich sehe sie, in wachem Schlummer liegen,
Am Mauerring, dort vor der Strahlburg Thor,
Auf duftendem Hollunderzweig sich wiegen
Den Zeisig, der den Busch zum Nest erkor;
Den Ritter knieend an das Kind sich schmiegen, -
Was zwitschert, hochroth, im die Maid ins Ohr? -
"Ach geh', Du Schelm, wart', wenn wir Ostern feiern,
Zu Ostern übers Jahr wirst Du mich heiern'!?" -
Getöse, Waffenlärm -: in Nacht und Schrecken,
Burg Thurneck seh' ich rings vom Feind berannt,
Bestürzung drinnen! Ha, die Flammen lecken
Stets höher, aus dem Giebel schlägt der Brand! -
Es sinkt das Haus; - weh, weh, die Trümmer decken
Das holde Kind! - - O nein, an sichrer Hand
Aus Rauch und Trümmern unversehrt sie schreitet
vom lichtumflossnen Cherubim geleitet! -
Vandalenvolk mag plumpen Anpralls stürmen
Der Dichtung Bollwerk, - er erstürmt es nie,
Die Riesin Technik Berg auf Berge thürmen, -
Stets höher baut und fliegt die Phantasie!
Verklärt hervor aus Wetternacht und Stürmen,
Ja aus dem Weltensturz geht Poesie -:
Aus Rauch und Trümmern taucht sie unberühret,
Vom lichtumflossnen Cherubim geführet!
Oechsler, Robert (1851-1920)
Aus Oechsler, Robert: Was der Neckar rauscht. Mit Zeichnungen von L. Sizler. Lieder und Schwänke. Heilbronn: Weber [1890]. S. 8-10.