Hildegard von Schoenfeldt
An Heinrich von Kleist

Am Wannsee ruht ein stiller, heißer Dichter …
Die Flamme zehrte seines Wesens Grund,
Gigantisch wurde er sich selbst zum Richter,
Schloß mit der Kugel seinen Sängermund.

Den Mund, aus dessen körperlicher Kehle
Sich scheu zerquälend nur ein Stammeln rang –
Doch zeitlos war in seinen Werken Seele,
Und Seele krönt sie jetzt zum Hochgesang.

Fragt je Genie nach bürgerlicher Achtung?
Es strebt nach Götterruhm und Glorienschein,
Oft sinkt es flügellahm, in Geistumnachtung –
Oft setzt es selbst den letzten Meilenstein.

Wer bricht den Stab ob einem frühen Ende,
Wer mißt die Qual von ohnmachtsvollem Ringen!
Vor dir, o Kämpfer, falten wir die Hände:
Wie du einst sangst, so wollen wir dir singen!

Die Freunde zagten schwächlich um dein Los,
Geschwisterherz verstand dich niemals ganz,
Und doch die Kinder, aus der Zweifler Schoß,
Verleihen segnend dir den Ehrenkranz.

Verkannter Geist, der himmelwärts gefahren,
Der weltentief in Erdenleid gedrungen –
H e i n r i c h  v o n  K l e i s t , du hast nach hundert Jahren
Im Siegeszug – dein Vaterland bezwungen.

1927


Hildegard v. Schoenfeldt
Aus: Minde-Pouet (1927), S. 83.