Gustav Schüler
Am Grabe Kleists

Grau wie das Sterben ist der matte Himmel,
Der Efeu friert auf deinem kalten Grab.
Aus Stadtgelärm und taubem Notgewimmel
Komm’ ich auf kurz mit meinem Wanderstab.

Ich mußte hin zu dir, du Kettenbrecher,
Der Freiheit Südsturm, eh der Frühling kam,
Der Weckeworte tiefergrimmter Sprecher,
Die höchste Hoffnung und der tiefste Gram!

Ach, daß du lebtest! uns ein Flug zu Häupten!
Befeuern müßt’ er, was noch dumpf verdeckt,
Entreißen die von Wetterwut Betäubten
Dem Furchtbeklemmen, das so lähmend schreckt!

Und bei uns sein! du Geist des wilden Hassens!
Wir brauchen dich! Wir sind zu weich gesinnt!
Bis alle Wutgewalt des Nichtmehrlassens
Von deiner Hand in uns’re Hände rinnt!

Du müßtest wissen, wie’s bei uns beschaffen,
Was für ein Notsturm durch dein Deutschland reißt;
Dann wärst du bei uns mit den Rachewaffen,
Du zornbeflammter, rüttelnd großer Geist!

1914


Gustav Schüler
Aus: Minde-Pouet (1927), S. 70.