Paul Warncke
Kleist
Vor grauen Jahren ward ein Stern zu nichts,
Zersplitterte und ließ die Stätte leer,
Die er im ewigen Weltenraum durchmessen.
Vor tausend Jahren, doch sein Licht blieb wach
Und leuchtete und leuchtet heute noch
Und schimmert über diesem Erdenball
In königlicher Ruhe wie zur Zeit,
Da er noch wandelte am Firmament.
O Kleist, auch du durchschrittest so, ein Stern,
Des eignen Lichtes voll, das tiefe Dunkel,
Das über uns als Himmelsbogen schwebt.
Du warst allein und sahest um dich her
Nur undurchdringlich tiefe Finsternis,
Und dir, du Stern, der eine Welt entzückt
Mit seinem Licht, dir leuchtete k e i n Stern.
Und von der eignen unerhörten Glut,
Die deines Wesens tiefen Kern durchwogte,
Von dieser Glut, die ihr Gefängnis sprengte,
Die, ein Vulkan, nach Freiheit rang, zerbarst
Die gotterfüllte Welt, die uns gestrahlt.
Der goldne Stern zerbrach, doch nicht sein Licht,
Es funkelt heute noch und leuchtet fort,
Solange Menschliches noch Menschen rühret,
Wie jenes Sternes Licht, wohl tausend Jahr –
So unermeßlich hoch ging seine Bahn.
Warum, o Feuergeist, geschah uns das?
Es ward uns mehr von jenem Wunderstern
Als nur sein Licht. Geschöpfe, gottgeschaffen,
Von jenem Gott, der uns so nah verwandt,
Den wir verstehn, der uns im Busen wohnt,
Und den wir lieben, w e i l wir ihn verstehn,
Ja, Wesen solcher wundersamen Art,
Sie schwangen sich von jenem Sterne nieder
Und trugen uns zu ewigen Sternen auf.
Nun aber schweben Geister u n g e b o r n e r ,
Doch jenen gleicher Wesen um uns her,
Weil du die Welt zerstört, in deren Schoß
Sie ihrem Dasein still entgegenreiften. –
Warum, o Kleist, hast du uns das getan!
Du gabst uns viel, allein du n a h m s t uns mehr,
Zertrümmertest ein Eden, drin ein Gott
Mit Schöpferhänden seine Wesen formte,
Unsterbliche, die nimmermehr vergehn.
Wir aber, wie berauscht, wir stehn beglückt,
Daß Augen uns geworden, um zu sehen,
Und daß wir Ohren haben, die da hören
Das Lied der ewigen Schönheit, das du schufst,
Und daß dein Name schon ans Herz uns klingt,
Wie eine Hymne, die ein Halbgott sang.
Dies stolze Leben, das du so geliebt,
Du warfst es von dir, weil es dich nicht liebte,
Nicht Raum dir gab, die Schwingen auszuspannen;
Dich liebte dieses Leben nicht, o Kleist,
Wir aber, die da leben, lieben dich!
1911
Paul Warncke
Aus: Minde-Pouet (1927), S. 58-59.