Wladimir von Hartlieb
An Kleist

»Leben Sie wohl, unsere liebe, liebe Freundin, und seien Sie auf Erden, wie es gar wohl möglich ist, recht glücklich! Wir, unsererseits, wollen nichts von den Freuden dieser Welt wissen und träumen lauter himmlische Fluren und Sonnen, in deren Schimmer wir, mit langen Flügeln an den Schultern, umherwandeln werden.«
Kleist an Sophie Haza-Müller (am Vortage seines Todes)

Du Engel!
              Hätt' ich je die Welt geliebt –
Nein, nicht geliebt: hätt' ich sie je geduldet;
Hätt' ich sie je mit dem Gewohnheitssinn
Des trägen Daseins, wenn nicht gut geheißen,
So doch entschuldigt, daß sie fehlerhaft
Und schwach und trüb, doch nicht verworfen sei,
Nicht ganz verworfen; hätt' ich je, du Engel,
Du Cherub, je, mein Schicksal zu erleichtern,
In mir das irdische Gefühl gepflegt,
In dem die Menschheit ihren Schwerpunkt findet,
Ich tat es nie – nein, nein! – ich tat es nie –
Mir schauderte von Anfang an – doch hätt' ich's –;
Und hätt' ich je gewünscht, zu mäßigen
Die Qual, die das Gefängnis dieser Welt
Für jeden, der von Seele lebt, bedeutet:
An jenem Tage, da zum erstenmal
Dein Wesen sich vor meinen Augen autat
Und ich gelähmt vor deinem Bilde stand,
Das unzerstörbar, ohne Anfang ist
Und ohne Ende, ewig wie der Gott,
Des Sohn du warst, Heinrich von Kleist, du Engel;
An jenem Tage – was hätt' ich…? Ach, ich wäre
Gestorben nicht, von einem Blitz zerschmettert
(Dies wäre Glück gewesen) – nein! – vielleicht
Daß Wahnsinn mich ergriffen hätte? daß,
Unfähig, seine Bahn so rasch zu ändern
Und dir zu dienen, sich mein Geist in Nacht
Und Finsternis verloren hätte? – ach,
Es wäre Glück gewesen! Doch zu  d e n k e n ,
Nachdem ich dich erfahren und erkannt,
Du Makelloser, – immer noch zu denken
Und fortzuleben – wie, wie hätt' ich das
Ertragen? Wie dies Aergste hingenommen?
Ich hätte mich zerfleischt vor Scham und Schmerz,
Geschrien einem Kind gleich, das man foltert,
In einer Felsenhöhle mich verkrampft,
Um mich zu retten vor dem Aussatz: Welt.

Du Engel! Kleist! Du königlicher Mensch!
Du tiefstentflammter aller deutschen Dichter!
Du Held! Du Dulder! Du zerschlagner Hund!
Du Angespiener! Du Jesus Christus!
Du Bettler mit der unsichtbaren Glorie!
Heinrich von Kleist – sieh, ich bin krank von dir.
Sieh mir ins Herz, mir in die Seele, Kleist!
Ich blute mehr als Tränen. Ich bin nichts
Vor deiner Majestät. Ich schäme mich
Zu leben, wo du sterben mußtest – nicht,
Weil dich Natur in ihre Arme rief
Nach einem Leben, glorreich durch den Geist,
Der in dir flammte wie in keinem andern, –
Nein: hingeschlachtet! – du!! – im Morgenrot
Der Sonne, die du warst, – verhöhnt, verhungert!
Geschändet – nicht vom Päbel nur, ach nein;
Von Besseren, doch nicht von deinesgleichen,
Denn du warst einsam in und mit dir selbst.
Sieh, ich bereue, was man an dir tat.
Doch keine Träne, die du hier geweint,
Auf Erden, unter Menschen hier geweint,
Ach, keine fließt zurück an ihren Quell,
Und ewig bleibt dein Antlitz ungetrocknet!
O welch ein Weinen! – – Laßt uns Buße tun,
Denn wir sind Schurken, alle! alle! alle!

Und du bist doch der Sieger! Heiter war
Dein Sterben, Engel, – heiter durch sich selbst,
Voll unsagbarer Wonne. Ohne Fluch
Gingst du hinweg – wen hätte er getroffen?
Die Welt, die  u n t e r  deiner Sphäre stand
Und sich mit dir so wenig mischen konnte
Wie Gold und Schlacke, Feuer und Gestein?
Ihr konntest du nicht zürnen, konntest sie
Nicht lieben und nicht hassen – und du gingst
In Heiterkeit, mit hochzeitlicher Brunst,
Ein ungebeugter Anwalt deiner Seele,
In deine Himmelssonnenfluren ein,
In deren Schimmer du mit langen Flügeln
Voraus dich wandeln sahst, du Göttersohn.

Du Heiliger! Du Engel ohne Fehl!
Du aus Mysterien glühend Schaffender!
Du tiefstentflammter aller deutschen Dichter –
Erhabnes Kind! Du Sternenschwinger! Kleist!
Heinrich von Kleist! Du großer, großer Dichter –
O laß mich deinen brennenden Altar
Mit jenem heil'gen Kranz umwinden, der
Dein Zeichen ist wie keines andern Sängers!
Du teilst ihn nicht – dir einzig kommt er zu:
Lorbeer und Dornen! – dir vor allen andern.


Aus: Die literarische Welt. Berlin. 9. Jg. 1933. Nr. 31. S. 3