Lili du Bois-Reymond
An Kleist
Eine Antwort auf sein Gedicht »Der höhere Frieden«.
Edler Schwärmer, wagtest du zu glauben,
Daß man deines Busens letzten Hort,
Deinen Frieden dir nicht könne rauben?
Weh! Du sprachest ein vermess'nes Wort!
Da du unter dunklen Ahornbäumen
Trauernd noch dein tiefgeriss'nes Herz
Im Gesang hinströmtest, und in Träumen
Heilung suchtest von des Lebens Schmerz –
Ja, da ließ man dir den Ahornschatten,
Wenn man auch den Lorbeer dir versagt,
Und zu Häupten, ach, des Todesmatten
Hat die liebe Nachtigall geklagt.
Ja, sie sang dir bald die Sterbeklage,
Der verzweifelnd du gesucht den Tod,
Eh' vom heißersehnten Freiheitstage
Dir erglüht das erste Morgenrot.
Und sie bargen unsres Sängers Leiche,
Wo er seinen letzten Kampf beschloß,
Und der Deutschen heil'ger Baum, die Eiche,
War es, die dem Dichtergrab entsproß.
Dürfen sie nun diesem Schatten wehren,
Daß er überdeckt des Sängers Staub?
Deutsche! Einen D i c h t e r g i l t ' s z u e h r e n –
Duldet nicht den frevlen Gräberraub!
Lili du Bois-Reymond, geb. Hensel (1864-1948)
Aus: MP. S. 20