Rolf Brandt
Heinrich von Kleists letzter Tag
Der Wind löst letzte, dunkelbraune Buchenblätter,
Herbstseide weht noch dann und wann.
Ein Tag, da rings das schwere Abschiednehmen
Mit roten Sonnenlettern auf den Wäldern steht,
Den märkschen Kiefern, die er so geliebt.
Noch einmal sieht er rückwärts in sein Leben,
Sein braunes Auges dunkelt sich in Qual,
Und über seinen vollsten, besten Stunden
Sieht er die riesengroßen Schwingen
Der Sehnsucht und des Todes.
Und er fühlt, in allen Tagen, da sein Denken rann,
Mußt' es durch Felsgebirge aufwärts rinnen.
Goethe stand da, ein Gott aus griech'schem Marmor,
Und dieser übergroße, starke Schwabe.
Und über ihnen hoch ins Weltgebirge wollte
Der Märker Fahnen seines deutschen Dramas hissen.
Die Fahne wehte. Doch sein Fuß war müde,
Und näher, immer näher rauschten wieder
Die riesengroßen, dunklen Schwingen.
»Bruder, ich will zu dir, in dir ist Ruhe.«
Und noch einmal zeigt ihm der andre,
Dem er in seine Stille folgen wollte,
Die großen, ewig lebenden Gestalten,
Die aus den Heldentagen heil'ger Kämpfe schritten.
Friedrich von Homburg grüßt mit dunklen, schweren
Und übermächt'gen,deutschen Siegeraugen.
Hermann, das Käthchen und der Graf vom Strahl,
Agnes, Achill und trunken im Gefühl
Penthesilea, – der er gleichen möchte,
Daß ihm der Schmerz die letzte Liebe wiese.
Sie schreiten in dem Nebel, der vom See her
Mit seltsam fremden Schleiern sie umgibt.
Sie heischen und sie bitten, doch vergebens …
»In mir zerbrach der Wille jeden Lebens.
Und jene Frau, die Preußens Liebe trug,
Ging mir voran, – es ist genug.
Das Dunkel glänzt wie Gold! O sel'ges Gleiten
Aus heißem Gram in kühle Ewigkeiten!«
Der Wind löst letzte, dunkelbraune Buchenblätter,
Herbstseide wehnt noch dann und wann.
Ein Tag, da rings das schwere Abschiednehmen
Mit roten Sonnenlettern auf den Wäldern steht,
Den märk'schen Kiefern, die er so geliebt.
Rolf Brandt
Aus: Kattowitzer Zeitung, 22. Nov. 1911.