Sophie Hoechstetter
An Heinrich von Kleist

Des Lebens größres, edleres Gegenbild
Erschien der Tod dir, hob sich zum heißen Wunsch.
Und eine armen Frauenseele
Wurde Gefährtin deinem Sterben.

Du Rätselvoller, schriebest Marie von Kleist,
Du wolltest keine, keine als sie, vielleicht
Ulrike noch, einst wiederfinden –
Sterben doch gingst du mit einer andern.

Du allen Fremder, fremd auch dem größten Geist,
Vor dem du knietest, müde des Seins, gestraft
In jedem Stolz, ein Unerkannter,
Gabst du der Traurigkeit letzte Rechte.

Was deine Hände, Hände der Gnade voll,
Ergriffen haben, ward dir zum schweren Schmerz.
Die arme Frau, unbürtig deiner,
Einzig entzauberte nicht Erwartung.

Der Ruh, die Liebe, Vaterland, Herrscherhaus,
Die Schwestern, Brüder, ach! und die Freunde selbst
Enttäuschten dich, und nicht einmal armes
Täglich gesichertes Brot errangst du.

Dein Werk, Erlauchter, blaut im azurnen Schein
Von Firnennähe, Schauer erweckt dein Maß,
Und eingebrannt in unser Wissen,
Gewissen bleibt es uns,  w i e  du kämpftest,

Das Werk zu schaffen, ohnen den Kompromiß
An Welt und Menschen, eisern und unbeirrt
Dem Genius in dir gehorchend,
Und deines Adels erhabner Fordrung.

Der Himmel weinte, Frauen erblich das Herz –
Das Werk blieb Torso, gegen dein Maß gesehen –
Du aber bringst dem Tod ein Lächeln
Blumengleich, kindlich, als sei es Frühling.


Sophie Hoechstetter (1873-1943)
Heinrich von Kleist. Ode in alkäischem Versmaß. (1922)
Aus: Westermanns Monatshefte, Sept. 1922, S. 82.
Wiederabdruck: Saat und Ernte. Die deutsche Lyrik um 1925. In Selbstauswahlen der Dichter und Dichterinnen. Hrsg. von Albert Sergel. Leipzig: Bong 1924, S. 279-280.
Und: Minde-Pouet, S. 78-79.