Die Besinnung. *)

Nach beschlossenem Selbstmorde.
1811.


Hinweg! Hinweg! entsetzlicher Gedanke,
Mit eigner Hand mein Leben zu bedrohn!
Wenn zwischen Ja und Nein ich nur noch wanke,
So trotz' ich frech der Gottheit schon.

Lebt ein Geschöpf wo bis zum kleinsten Wurme,
Das nicht dem Tod, nicht der Vernichtung bebt?
Im Elementenkampf, im Donnersturme,
Sucht Alles Schirm, was fühlt und lebt.

Und ich – konnt' über dem Gedanken brüten,
Der aus der Hölle in die Brust mir fuhr:
Mit Würgerhänden gegen mich zu wüthen,
Ich – Abbild göttlicher Natur!

Ich Thor wollt' in dem Tod ein Heros heissen,
Und hätt' ich jetzt die grause That vollbracht,
So hätten mit Verachtung stets die Weisen
An mich und meinen Tod gedacht;

So hieß' es jetzt: er wollte groß sich zeigen
Und war zu klein, sein Schicksal zu bestehn;
So sagten sie: er starb den Tod des Feigen [?]
Statt männlich durch die Welt zu gehn.

Ich Thor! Ich träumte mir von jenem Glücke,
Das ewig dort in bessern Welten blüht,
Und dachte nicht, daß mit erzürntem Blicke
Die Gottheit auf den Frevler sieht,

Der frech allheiligen Naturgesetzen,
Giganten ähnlich, hier entgegensträubt
Und sich, um tausend Pflichten zu verletzen,
Mit mörderischer Hand entleibt.

Wie könnt' ich, Gott, noch den Gedanken nähren?
Wie Störer deiner Schöpferordnung seyn? –
Nein! Ich will leben! will mein Leben ehren!
Will dankbar, daß ich bin, mich freun!

Mein Weib und Kind, ihr meine Trauten alle,
Von denen jetzt mein Herz sich abgewandt,
Kommt, daß ich wieder an die Brust euch falle,
Daß ich von Neuem, Hand in Hand,

Hier mit euch wandle und mich glücklich fühle
Auf jeder Flur, auf jedem Lebenspfad,
Bis mir der Engel an dem letzten Ziele
Mit umgestürzter Fackel naht!

*) Veranlaßt durch einen, in B. aus unseliger Schwärmerei verübten, doppelten Selbstmord.


Aus: Gedichte / von / Johann Georg Zimmermann. / [...] / Darmstadt, / gedruckt bei Ludwig Karl Wittich / 1819. / [...] / In Kommission bei Heyer und Leske. S. 40-43.