Helene Kliche*)
Zum 150. Geburtstage Heinrichs von Kleist.

Zerbrochen von den Stürmen seiner Zeit;
Ein deutscher Herold, ungehört im Streit;
Ein Wahrheitssucher, der das Glück nicht fand:
Der Denkstein kündet es am Wannseestrand. –

Dem Lebenden ward kein Tribut gezollt.
Heut pilgern Scharen hin durch Herbstlaubgold
Zum Grab des Dichters, der mit glüh'ndem Geist
Das künftige Deutschland sah, der  H e r o l d  K l e i s t !

Kleistfeier in Frankfurt a. d. Oder.

Der größte Dichter des Ostens, um nicht zu sagen Preußens, Heinrich von Kleist, wurde vor 150 Jahren geboren, und zwar am 18. Oktober 1777. Er, dessen dichterische Bedeutung im Leben nur von einigen wenigen erkannt wurde, während seine spröden genialen Dichtungen der Masse des Volkes bei seinen Lebzeiten nicht näherkommen konnten, und der, sich verkannt fühlend, freiwillig in den Tod ging, verdient es, daß das ganze deutsche Volk, soweit die deutsche Zunge klingt, seinen 150. Geburtstag als einen Ehrentag begeht. Die Berliner Theater lassen leider jede Ehrung des Dichters durch Aufführung seiner Werke vermissen. Sie scheinen den 150. Geburtstag dieses großen Dramatikers, der auf den Schultern Shakespeares steht, vergessen zu haben, abgesehen von dem literarisch unbedeutenden Rose-Theater in Berlin, das den »Zerbrochenen Krug« in einer Mittagsfeier aufführte. Demgegenüber ist es erfreulich, daß das Bayerische Staatstheater aus diesem Anlaß eine Kleist-Festvorstellung herausbringt.

Ganz besonders erfreulich aber ist es, daß Kleists Andenken bei dieser Gelegenheit in unserem Osten in besonderem Maße gefeiert werden soll. In der Geburtsstadt Kleists, in Frankfurt a. d. O., hat sich die rührige Stadtverwaltung mit der dortigen Kleistgesellschaft zu einer großzügigen gemeinschaftlichen Feier zusammengetan. Die Stadt Frankfurt a. d. Oder beweist auch dadurch wieder, wie sehr sie nicht nur berechtigt ist, sich als kultureller Mittelpunkt der mittleren Ostmark zu fühlen, sondern in wie großzügiger und vornehmer Weise sie es versteht, auch die Verpflichtungen, die damit zusammenhängen, zu erfüllen.

Die Frankfurter Kleistfeier beginnt Freitag, den 14. Oktober, nachmittags 5 Uhr, mit einer Vorstandssitzung der Kleistgesellschaft im Magistratssitzungssaal des Rathauses. Um 8 Uhr abends folgt ein Festabend in der für solche Zwecke besonders geeigneten neu ausgeschmückten alten Rathaushalle. Otto Bernstein-Dresden wird Kleistdichtungen vortragen. Diese Rezitationen werden umrahmt sein von Gesangsvorträgen des Chors der Frankfurter Heinrich von Kleist-Schule. Im Anschluß daran gibt die Stadt einen Begrüßungsabend, bei Herr Oberbürgermeister Dr. Kinne die Teilnehmer namens der Stadt begrüßen wird.

Sonnabend, den 15., vormittags 11½ Uhr, beginnt die Mitgliederversammlung der Kleist-Gesellschaft im Stadtverordneten-Sitzungssaal des Rathauses. Nach der Eröffnungsansprache des Vorsitzenden, Herrn Oberbürgermeister Dr. Kinne, wird der Geschäftsführer Dr. Walter Vogel den Jahresbericht vortragen, worauf Kassenbericht und Haushaltsplan erledigt werden. Herr Professor Dr. Minde-Pouet wird dann über die Veröffentlichungen der Gesellschaft berichten, Stadtbüchereidirektor und Stadtrat Plage (Frankfurt a. d. Oder) über die Sammlungen der Gesellschaft.

Um 1 Uhr folgt eine Kranzniederlegung am Denkmal Heinrichs von Kleist, wobei Dr. Groeper, Frankfurt a. d. Oder, die Ansprache halten und der Lehrer-Gesangverein singen wird. Im Anschluß daran wird ein Kranz am Grabe der Ulrike von Kleist niedergelegt. Der Nachmittag bleibt frei für die Besichtigung des Kleistmuseums, Oderstr. 26, des Lienau-Museums, Oderstr. 15, und des Ostmark-Stadions.

Um 8 Uhr abends beginnt ein Festkonzert des Berliner Sinfonie-Orchesters unter Leitung des Herrn Professor Dr. Hans Pfitzner, in dem zunächst Pfitzners Musik zu Kleists »Kätchen von Heilbronn« dargeboten, worauf Beethovens Sechste Sinfonie gespielt wird.

Sonntag, den 16., mittags 12 Uhr, beginnt eine Festsitzung im Stadttheater, bei der der Dichter Dr. Wilhelm von Scholz, Präsident der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste, die Festrede halten wird. Die Frankfurter Singakademie wird die Feier durch Liedervorträge verschönen. Dabei wird auch Pfitzners »Gesang der Barden nach Kleists Hermannsschlacht« vorgetragen werden. Um 2 Uhr findet ein Festessen in der Loge statt, bei dem Frau Margarete Vogel, Frankfurt a. d. Oder, Kleistlieder singt. Abends um 7 ½ Uhr beginnt im Stadttheater eine Festaufführung. Gegeben wird »Amphitryon«.

Am Montag wird die Kleistfeier in Berlin fortgesetzt. Hier wird um 1 Uhr eine Kleistausstellung in der Preußischen Staatsbibliothek, Unter den Linden 38, eröffnet, wobei der Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek, Geheimer Regierungsrat Professor Dr. Krüß, Dr. Wilhelm von Scholz und Professor Dr. Minde-Pouet Ansprache halten werden. Die Festgesellschaft begibt sich dann in Autos nach Wannsee, wo am Grabe Heinrichs von Kleist ein Kranz niedergelegt wird, nachdem Dr. Franz Servaes eine Gedächtnisrede gehalten haben wird. Zum Schluß spricht Professor Ferdinand Gregori das Gebet des Zoroaster. Abends 8½ Uhr findet ein Kleist-Vortragsabend im Saale des ehemaligen Herrenhauses mit Rezitationen statt.

Dieses Programm zeigt, in welch würdiger und großzügiger Weise Frankfurt das Andenken Kleist zu ehren gedenkt.

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Kleistfeiern unserer Ortsgruppen.

Wir bitten unsere Landesverbände und Ortsgruppen, nach Möglichkeit dafür zu sorgen, daß des 150. Geburtstags Heinrichs von Kleist überall ehrend gedacht wird, möglichst durch gut vorbereitete Kleistfeiern, und daß dabei auf die ostmärkische Art dieses Dichter in besonderem Maße hingewiesen und betont wird, was die Ostmark durch diesen Dichter dem deutschen Volke geschenkt hat.


*) Diese Verse sollen gesprochen werden bei der Niederlegung eines Kranzes durch die Kinder der Schule in Wannsee am Kleist-Grabe.


Aus: Ostland. Halbmonatsschrift für Ostpolitik. Hrsg.: Bund Deutscher Osten e.V., Berlin. Oktober 1927, S. 579