Peter Staengle

Kleists Lebensspuren

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. 2. 1997


Wer wollte es dem Oldenburger Germanistikprofessor Dr. Dirk Grathoff verdenken, daß er in seinem Brief "Kleistforscher-Intrigen" (F.A.Z. vom 13. Februar) Reinhard Pabsts Artikel über mögliche Quellen zu Kleists Biographie zum Anlaß nimmt, en passant auf seine Entbehrungen, Leiden und Verdienste als Kleist-Forscher aufmerksam, in der Hauptsache aber für sein satirisches Talent Werbung zu machen. Der herablassende Rat, der "Butzbacher Dachbodenforscher" Pabst habe seine "Spürnase" aus Kleistiana gefälligst herauszuhalten, ist grotesk, zumal dann, wenn Grathoff wenige Zeilen später sich outet und larmoyant behauptet, seit 15 Jahren selbst um Einlaß zu den "Quellenschätzen des Münchner Max-Planck-Instituts" gebeten zu haben. Und überhaupt: Warum schreibt Grathoff diesen Brief, anstatt schleunigst nach München zu fahren, wo doch, wie er meint, "nun allen gebetenen und ungebetenen Schnüfflern Tür und Tor geöffnet" sind? Etwas mehr kollegiale Anerkennung würde ihn, der sich um "unseren märkischen Kleist" so besorgt zeigt, nicht schlecht zu Gesicht stehen. Reinhard Pabsts Artikel macht auf eine der interessierten Öffentlichkeit bislang unbekannte Quelle aufmerksam, nicht weniger, aber vorerst auch nicht mehr. Unabhängig von dem Ergebnis, das die Auswertung erbringen wird, kann Pabst zudem für sich reklamieren, daß er eine Kleistsche Lebensspur entdeckt hat (Eintrag ins Besucherbuch der Weimarer Bibliothek) und - was Grathoff unerwähnt läßt - die Teilreproduktion eines verschollenen Kleist-Briefs präsentiert, deren Existenz bis dato unbekannt war. Butzbach, wo im Jahr 1801 Kleists Reisekutsche umgekippt ist, gilt daher im vorliegenden Fall zumindest ebensoviel wie Oldenburg, von wo uns die Nachricht erreicht hat, daß Goethe sich von durchreisenden Schriftstelleradepten in deren Unterkünfte zitieren ließ. (Dr. Peter Staengle, Heidelberg)